Ethik und Politik des Übersetzens von Henri Meschonnic erschienen bei Matthes & Seitz Berlin, Übersetzung: Béatrice Costa
Endlich kann man diesen Spinner auch auf Deutsch lesen. Und ein Spinner ist er wirklich, ein Querulant und auch ein Ignorant. Er redet von Ethik, ohne offensichtlich ihre systematische Kenntnis für nötig zu halten (Standardparadigmen wie Utilitarismus oder Deontologie werden nicht einmal erwähnt), er spricht von Politik, offenbar ohne zu wissen, was er damit meint (oder ohne es zu sagen – Verweise auf aktuelle Theorie-Debatten oder „den Forschungsstand“ sucht man vergebens), er schert sich überhaupt um die terminologische Abklärung von Begriffen einen feuchten Kehricht, und, vor allem: Er ist wie manisch besessen von einem kryptischen Rhythmusbegriff, den er vage bei Heraklit ausgeliehen hat und mit dem er die selbstverständliche sprachtheoretische Grundidee, dass Wörter „Zeichen für etwas“ seien, zu Fall bringen will, und zwar im Alleingang. Und all das ist grossartig, wunderbar, fulminant, endlos inspirierend.
Ich bin auf Henri Meschonnic vor ungefähr zwei Jahren gestossen und war sofort gefesselt: Er macht das, wovon ich schon als Student geträumt habe. Er beginnt das sprachtheoretische Denken nicht von der Aussage, sondern vom Gedicht her. Was habe ich all die Analytiker, Semiotiker, Informationstheoretiker, Transformationsgrammatiker gehasst dafür, dass Gedichte für sie ein „parasitärer Missbrauch von Sprache“ (Austin) sind! Meschonnic gibt diesem Entsetzen Worte. Und er gräbt ihm unermüdlich nach. Und reisst dabei Türen auf in eine Leere des Ungedachten, in der möglicherweise wirklich ein ganz neues Verständnis von Sprache wartet, das nicht nur die Illusion der Zeichenhaftigkeit hinter sich lässt, sondern auch die mit ihr verbundenen sekundären Irrtümer – nicht zuletzt die politischen, die ethischen. Eben, genau. Was er macht, ist hochbrisant und hochaktuell.
Und machen kann er es nur deshalb, weil er spinnt. Weil ihm die Gepflogenheit des akademischen Betriebs, überall Forschungsstände zu postulieren und ihre Berücksichtigung als Eintrittskarte in den Diskurs der Gelehrten zu behandeln, vollkommen egal sind. Weil er auf die Explizierbarkeit von Begriffen pfeift (seinem eigenen Anspruch Folge leistend, dass es darauf ankommt, was ein Wort macht, nicht auf seine Definition), weil er den Denkakt selbst als Wert und Wagnis in Stellung bringt gegen die längst nicht mehr hinterfragten akademischen Standardisierungen. Sein Kämpfen gegen das Zeichen und dessen Theorie ist zugleich ein Kämpfen gegen die intellektuelle Bequemlichkeit. Und ja, in diesem Kämpfen ist er ein Querulant. Ein virtuoser.
Meschonnic will, Zitat: „ein Freudenfeuer mit der hölzernen Sprache anzünden, die die Sprache des Zeichens ist“ („faire un feu de joie avec la langue de bois qui est celle du signe“) – allein das enharmonische Kippen des Ausdrucks „langue de bois“ in dieser Zeile ist einen Jubel wert.
Demnächst erscheinen bei Matthes & Seitz Berlin noch weitere Bände: Kritik des Rhythmus, Politik des Rhythmus und eine Meschonnic-Denkbiografie von Vera Viehöver. Dass auch ich dabei eine marginale Helferrolle spielen konnte freut mich besonders.* Ausserdem gibt es seit Kurzem einen Meschonnic-Tagungsband der Universität Hildesheim.
- *„disclaimer“: Die Geschichte ist die. Je mehr ich mich in Meschonnic hineinlas, desto mehr schien mir eine deutsche Ausgabe nötig und wünschenswert (die es bisher nicht gab). In einem Mail an Andreas Rötzer von MSB fragte ich ihn: „Wollt ihr sowas nicht machen?“ – „Wir sind bereits dran“, antwortete er, „allerdings fehlt uns, beziehungsweise der Universität Hildesheim, mit der wir das Projekt realisieren, noch Geld“. Das hat meine Konvert-Stiftung zugeschossen (was eh der Gedanke meines Mails war: die Stiftung sollte das Übersetzungsprojekt fördern). Sinnvoll verwandtes Geld, nicht einfach nur „Kulturförderung“, sondern – hoffentlich – auch intellektuelle Katalyse. That’s all.