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Gender-trouble auf dem Dorfe

Ein ländliches Geschlechtersprachen-Impromptu

Gestern nachmittag war hier bei uns, wie an jedem ersten Sonntag im Mai, Datschenversammlung. Da kommen alle zusammen, die in der näheren Umgebung wohnen, um die Angelegenheiten der anbrechenden Saison zu besprechen und ein paar Aufgaben zu verteilen. Den Vorsitz der Versammlung hatte dieses Jahr ein Dachs, ein etwas schüchterner, aber sehr gewissenhafter Genosse, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, zunächst alle Anwesenden gebührend zu begrüssen.

Dachs
Ein Dachs ein etwas schüchterner, aber gewissenhafter Geselle …
(Zeichnung: Chris Dunn)

„Einen schönen guten Tag wünsche ich Euch allen“, begann er, „liebe Hauskatzen, liebe Störche, liebe Feldhasen, liebe Zitronenfalter, liebe Blaumeisen, liebe Eichelhäher, liebe Mäuse …“

Aber kaum hatte er das gesagt, machte sich unter den anwesenden Mäusen schon Unruhe bemerkbar. Jemand trat einige Schritte nach vorne und rief: „Schön und gut, aber ich bin keine Maus!“

„Oh, Entschuldigung“, sagte der Dachs verunsichert. „Das wusste ich nicht. Was bist du denn?“

„Ich bin ein Mäuserich!“

Der Mäuserich stellte sich stolz auf die Hinterbeine und liess die Muskeln in den Oberarmen spielen.

„Wenn du hier einfach nur sagst ‚Liebe Mäuse‘, dann tust du so, als würde es bei uns gar keine Männer geben.“

„Ah, natürlich, das hatte ich nicht bedacht.“ Dem Dachs war sehr daran gelegen, dass alle Anwesenden sich bei der Versammlung einbezogen fühlten, und da er selbst schon einmal fälschlich für einen Waschbär gehalten worden war, wusste er, wie sehr einem solche Fehler zu Herzen gehen können. „Ich meinte natürlich: liebe Mäuse und Mäuseriche!“

Damit, schien ihm, musste er alles richtig gemacht haben. Also nahm er den Faden seiner Begrüssungen wieder auf: „Und liebe Eulen …“ Weiter kam er aber nicht. Vom schattigen Ast einer Eiche erklang ein höfliches, aber nachdrückliches „Hu-Hu“ und dann eine fagottartige Stimme: „Ich denke, Sie sind sich dessen bewusst, ich möchte aber noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich keine Eule bin, sondern ein Euler.“

„Ah ja, natürlich“, sagte der Dachs.

Eule
„Ich denke, Sie sind sich dessen bewusst, dass ich keine Eule hin, sondern ein Euler.“
(unbekannte Künstlerin)

„Und meine Gattin, die heute leider verhindert ist, legt Wert darauf, als Frau Eulin angesprochen zu werden.“

„Natürlich, Herr … Herr Euler, selbstverständlich. Ich werde darauf achten, wenn ich sie das nächste Mal sehe. Aber ich glaube, für heute fange ich am besten noch einmal ganz von vorne an.“

Der Dachs schaute aufmerksam in die Runde, um sicher zu sein, dass er diesmal auch ja niemand falsch benennen oder gar ganz übersehen würde, räusperte sich und wiederholte seine Ansprache: „Nun denn also, liebe Nachbarn und Kollegen, einen schönen guten Tag wünsche ich Euch und Ihnen allen. Liebe Katzen, liebe Störche, liebe Hasen, liebe Zitronenfalter, liebe Meisen, liebe Eichelhäher, liebe Mäuse und Mäuseriche, liebe Herren Euler und Damen Eulinnen, liebe Bienen …“

Aber weiter kam er schon wieder nicht, denn in diesem Augenblick wurde die Luft von einem ärgerlichen Surren durchschnitten. Eine Biene hatte sich hoch über die Wiese erhoben, schwebte über der Versammlung hin und her und rief, wobei sie sich bemühte, ihrer dünnen Stimme einen besonders markanten Klang zu geben: „Und ich bin keine Biene!“

„Ach nein? Nicht? Eine Biene, aber keine Biene?“ fuhr mit gereizter Stimme eine der wie immer ungeduldigen Ratten dazwischen, weil sie die Zeit sinnlos dahinschwinden sah. „Was bist du denn sonst, du oberschlauer Brummer?“

„Ich bin – eine Drohne!“ rief der Bienenmann trotzig aus dem Flug zur Ratte hinunter.

Die Drohne, vollkommen verdutzt von der unerwarteten Belustigung, vergass mit den Flügeln zu schlagen …

„Eine Drohne!“ äffte die Ratte ihn nach, „ER ist EINE Drohne! Der tolle Stecher dort in seinem engen Ringelshirtchen, der will nicht eine Biene sein, nein, er ist nämlich ein echter Kerl, und das soll man auch am Namen hören, und deshalb ist er ein … ein … ein …– eine Drohne!“

Die ganze Versammlung brach in Lachen aus. Wie konnte dieser Bienerich sich ein-e nennen wollen? Das war absurd! Die Störche klapperten mit ihren Schnäbeln nach links und nach rechts, bis sich ihre Hälse kringelten, die Kröten kullerten mit Tränen in den Augen auf dem Rücken, sogar die Spinnen mussten sich alle acht Beine vor den Mund pressen, um nicht laut loszuprusten.

Die Drohne, verdutzt von der Belustigung, die sie offenbar selbst irgendwie verursacht hatte, vergass mit den Flügeln zu schlagen und landete mit einem lauten klack auf dem Rücken der einzigen anwesenden Gartenschildkröte.

Als nächstes hatte der Dachs eigentlich die Eichhörnchen begrüssen wollen, die gleich zu Elft gekommen waren und schon ungeduldig darauf warteten, ihren Protest kundzutun, denn als „ein Hörnchen“ wollte sich natürlich keines von ihnen titulieren lassen, ob Männlein oder Weiblein. Doch inzwischen hatte sich die Sonne bereits im Laub der Erlen versteckt und drohte, bald ganz hinter dem Wiesenrand zu verschwinden. Und da die einen Mitglieder unser kleinen Gemeinschaft noch vor Dunkelheit ihren Schlafplatz erreichen mussten, für die anderen der Beginn der nächtlichen Arbeitszeit bevorstand, blieb dem Dachs nichts anderes übrig, als die Versammlung an diesem Punkt zu schliessen.

Und die Moral von der Geschicht? Na, wir Männer haben eben wirklich einen schweren Stand gegen die unerbittliche geschlechtliche Macht der deutschen Grammatik. Und wer nun zum nächsten Wochenende auf dem Bolzplatz am Dorfrand das Gras mähen wird, das ist immer noch nicht entschieden.



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